Montag, 21. Dezember 2009

Ein Herz für Assistenten – ein Plädoyer

Das Berufsbild eines Assistenten wird gemeinhin als unspektakulär, dröge und handlangerisch erachtet. Das ist zutreffend. Dennoch – und das wird gern übersehen – haben auch Assistenten eine Daseinsberechtigung und sind hin und wieder sogar tatsächlich wichtig. Wer beispielsweise hätte Sokrates’ schlaue Gedanken für die Nachwelt erhalten sollen, wenn ihm nicht Platon als Schüler und Assistent stenographierend zur Seite gestanden hätte? Wer, wenn nicht der russische Schiedsrichterassistent Tofik Bachramow, beendete die deutschen Fußballtitelträume anno ’66 in Wembley? Und wenn ein Theaterregisseur Kaffee braucht – wer sprintet dann zum Lidl und holt Filtertüten? Richtig, der Hospitant – geschickt vom Regieassistenten.

Der Regieassistent, oft auch liebevoll Assi genannt, übernimmt in einer Theaterproduktion in etwa die Rolle, die einem Angehörigen des Nachschubbataillons in militärischen Kampfhandlungen zukommt. Er versorgt die Truppe an der Front (=Schauspieler) sowie den Feldwebel (=Regisseur) mit Nahrung, leistet moralische Aufbauarbeit, überbringt Informationen von der Heimatfront (=Künstlerisches Betriebsbüro) und vermittelt zwischen den verschiedenen Streitkräften (=Technik, Ton, Beleuchtung, Requisite), um während der Schlussoffensive (=Endproben) und für den Ausgang der Militäroperation (=Premiere) das Bestmögliche herauszuholen. Anschließend ist er für einen reibungslosen Ablauf des Friedenszustands (=Vorstellungen) verantwortlich.

Als diensthabender Regieassistent von „Der kleine Muck“ kann der Autor dieser Zeilen ein Lied von den Anstrengungen im Vorstellungsalltag singen (CD ab Mitte Januar an der Theaterkasse erhältlich). Hochrechnungen haben ergeben, dass – nachdem der Vorhang zum 26. und letzten Mal gefallen ist – 19.422 Menschen den „Kleinen Muck“ im Magdeburger Opernhaus gesehen haben werden. Das entspricht exakt der Einwohnerzahl Schwerins im Jahr 1848. Diese Zahl wiederum bezeichnet die Gesamtdauer aller 26 Aufführungen in Minuten. Statistische Auswertungen wie diese gehören ebenso zum Berufsalltag des Assistenten, wie das Kontrollieren der Bühneneinrichtung vor jeder Vorstellung und wie anschließende Kritikgespräche mit den Beteiligten auf und hinter der Bühne. Damit soll er dafür Sorge tragen, dass die Inszenierung auch nach der Abreise des Regisseurs (im Regelfall kurz nach, selten kurz vor der Premiere) noch den ursprünglich intendierten Charakter behält.

Wenn er gerade keine Vorstellungen hat, ist der Regieassistent mit Proben beschäftigt. Oder mit der Organisation von Nachtschichten. Oder mit Telefonieren. Oder mit dem Anfertigen von Probenplänen. Oder Requisitenlisten. Oder er aktualisiert Textbücher. Oder sitzt auf Dienstbesprechungen. Manchmal sieht man ihn einfach nur träumend in der Gegend herumstehen und eine Zigarette rauchen. Die Literatur berichtet von ungefähr einer Sichtung dieses Phänomens pro Spielzeit und Bundesland. Was sie dabei verschweigt: dieser Job macht auch einen Heidenspaß, meistens zumindest.

Wenn Sie also zum nächsten Mal ins Theater gehen – wie wär’s denn mit der letzten „Muck“-Vorstellung am 28. Dezember um 15 Uhr im Opernhaus oder mit der Familienkomödie „Zusammen“ (26. und 27. Dezember) im Schauspielhaus – wenn Sie also zwischen Weihnachten und Silvester das Theater Magdeburg besuchen, schauen sie doch einfach mal, ob Sie einen Regieassistenten sehen. Und wenn, dann winken Sie ihm freundlich zu, bevor Sie es sich auf Ihrem Platz bequem machen. Sie werden merken wie viel Liebe und Dankbarkeit sie für diese kleine Geste zurückbekommen.

Bis zum nächsten Mal,
Ihr Holger Radke

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