Donnerstag, 29. April 2010

Rainer Roos über Philipp Glass:

Meine erste Berührung mit der Musik von Philipp Glass hatte ich um 1990, als in der Stuttgarter Oper seine Operntrilogie »Einstein on the beach«, »Akhnaten« und „Satyagraha« aufgeführt wurde. 1996 durfte ich Phil Glass dann persönlich kennenlernen, als er die Endprobenphase zur Uraufführung seiner Oper »Die Ehen zwischen den Zonen 3, 4 und 5« persönlich überwachte und ich als sein Assistent eingesetzt war. So hatte ich die einmalige Gelegenheit, die Interpretation und den Umgang mit seiner hypnotisch-repetiven Musik aus 1.Hand zu lernen.
In Magdeburg mit »In the penal colony« meine nächste Begegnung mit einer seiner Opern. Hier versuchten meine Musiker und ich seine spezielle Behandlung der Dynamik (z.B. crescendo und decrescendo ohne das Tempo zu verändern, nicht romantisch) und Klangfarben (auch seine Offenheit gegenüber elektronisch verstärkten traditionellen Instrumenten) umzusetzen.
Mit »Der Untergang des Hauses Usher« dirigiere ich ein weiteres Mal eine seiner Opern. Neben allem vorgenannten geht es hier vor allem um die psychologischen Akzente, die diese Musik einerseits »direkt«, vor allem aber »indirekt« durch ihre hypnotische Wirkung erzielen kann. Aus dieser vermeintlichen Ruhe heraus sind die Akzente umso wirkungsvoller. Es macht sehr viel Spaß, mit der Partitur dieser Oper zu »spielen«, man kann ganz unterschiedliche Klangfarben und Stimmungen erzeugen. Oft mit der Absicht, den Gruseleffekt beim Publikum so eindringlich wie möglich zu gestalten!

Donnerstag, 1. April 2010

Magdeburger Geschichten


»Aber das ist doch gar nichts Besonderes. Meinen Sie nicht, dass das belächelt wird?«

Auf dem Tisch zwischen uns liegt ein roter Wollpullover, oft getragen, gut gepflegt, niemals weggegeben. Denn dieser Pullover ist eben doch nicht irgendein Kleidungsstück, sondern das erste, das meine Gesprächspartnerin vor zwanzig Jahren nach dem Fall der Mauer in einem Versandhaus-Katalog bestellte. Wir sprechen über das merkwürdige Gefühl, dass diese lexikondicke Sammlung von bunt präsentierten Waren damals auslöste: dass all diese Dinge jetzt auf einmal verfügbar sein sollten, wer diese ganzen Sachen überhaupt brauchte und vor allem bezahlen sollte! Über die Verlockung der Ratenzahlung und die Angst davor. Darüber, wie irreal das damals erschien, per Postkarte etwas zu kaufen, wovon man nur ein Foto gesehen hatte. Wann 1989 welche Politbüroentscheidung fiel und wie viele Menschen bei welcher Demonstration waren, kann ich in jedem Lexikon nachlesen. Wie sich der gesellschaftliche Umbruch im alltäglichen Leben ausgewirkt hat, welche Gefühle er ausgelöst, welche Energien er freigesetzt und wie er Biographien beeinflusst hat, erfahre ich nur in solchen Gesprächen. Und das soll nichts Besonderes sein?
Vom 16. – 18. April werden wir im Schauspielhaus ein komplettes Wochenende den Ereignissen rund um Wende und Wiedervereinigung sowie der anschließenden Entwicklung bis heute widmen: mit Uraufführungen, Gastspielen, Werkstatt-Inszenierungen, Lesungen, Diskussionen und Musik. Und wir werden in einer Ausstellung Dinge wie besagten roten Pullover zeigen und gemeinsam mit den Leihgebern die zugehörigen Geschichten erzählen. Eine Vielzahl von Objekten wie Schallplatten, Vasen, Zeitungen, Programmhefte, Aufkleber, Fernseher und Gesangszettel haben uns schon erreicht. Vielleicht haben Sie ja auch einen Gegenstand, der Sie an die Umbruchszeit erinnert? Ganz egal ob alltäglich oder außergewöhnlich, skurril oder profan: Wir freuen uns, wenn Sie mit uns Kontakt aufnehmen!
dag.kemser@theater.magdeburg.de.